Entschuldigung

Jeder Mensch macht Fehler. Da gibt es keine Ausnahmen! Klar ist auch, in jedem Fehler stecken Entwicklungs- und Lernpotentiale. Aber Hand aufs Herz, oft fällt es uns schwer, Fehler zuzugeben und sich zu entschuldigen. Wir befürchten, dass eine Entschuldigung von anderen als Zeichen von Schwäche empfunden wird. Doch zeugt eine Entschuldigung nicht eher von Größe und Stärke?

Wie wird ein Mensch seine Schuld los?

Zuerst gilt es da noch einmal festzuhalten: Schuldig werden zu können gehört zu den grundlegenden Aspekten des Menschseins. Ein Mensch, der zu seiner Schuld stehen kann, bekommt dadurch seine ihm eigene Würde. Wir alle brauchen zum einen Geduld und zum anderen fordert es Anstrengung mit der Schuld umzugehen, sie zu bewältigen.

Umgang mit Schuld braucht Reife.

Beim Besuch von Freunden fiel dem vierjährigen Kind ein Glas aus der Hand und zerbrach. Auf mein Anraten dies aber den Eltern zu sagen, gibt mir das Vierjährige zur Antwort: „Wieso, sie haben es ja nicht gesehen.“ Eine für dieses Alter angemessene Form des Umgangs mit Moral. Schuld wird dadurch zur Schuld, dass sie von anderen wahrgenommen wird. Nicht der Gedanke, dass ich hinter mir und meinen Möglichkeiten zurückbleibe, nicht mein Gewissen oder meine innere Stimme sagen mir, dass etwas falsch war, sondern „nur“ die Augen der Zuschauer und die Tatsache der Entdeckung machen einen Sachverhalt zur Schuld. Für manche Zeitgenossen scheint die Schuld ausschließlich darin zu bestehen, ertappt zu werden. Reue und Anerkennung der eigenen Schuld ist eben nichts für Schwächlinge. Da liegt es häufig viel näher, die eigne Schuld zu leugnen. Dafür gibt es bekanntlich verschiedene Methoden. Man kann die Schuld herunterspielen, man kann andere Menschen oder auch die Umstände dafür verantwortlich machen. Damit kann ich vielleicht die anderen täuschen, mich selbst aber meist nicht. Wenn ich Schuld auf andere abzuschieben versuche, kehrt die eigene Würde, die Wertschätzung mir selbst gegenüber damit nicht zurück. Manchmal ist es entscheidend für eine Ent-schuldung zu sorgen, damit ich selbst mir wieder in mein Herz, in mein Inneres, ich mir wieder in die Augen schauen kann.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es eine Frage der eigenen Würde ist zu sagen: Ich bin der Mensch! Ich bin dieser meiner Schwäche unterlegen, gebe sie zu, zeige mich auch öffentlich mit allem was dazugehört. Das ist der eigentliche Sinn des sich Entschuldigens: Sich in seiner Schuld zeigen und angemessen offen werden. Ich lade sie ein, dieser merkwürdigen wehrlosen Würde nachzuspüren. Jede und jeder die/der einen solchen Weg geht, muss das Risiko tragen, vor den Augen des Gegenübers schutzlos, wehrlos und ausgeliefert zu sein. Wer diesen Weg geht, besteht nicht auf sich selbst, besteht nicht auf die eigene Ganzheit und Integrität. Da braucht es keine Rechtfertigung mehr, da zeigt sich eine menschliche Gebrechlichkeit von einer anderen Dimension.

Eine dritte Betrachtung ist mir noch wichtig: Der Blickwinkel dessen, der das Geschehene entschuldigen soll. Diese Bitte um Entschuldigung seines Gegenübers macht ihn ebenfalls wehrlos. Es mag komisch klingen, aber Wehrlosigkeit macht wehrlos und so wird auch er gehemmt, manch einem Ärger, manch einem Rachegefühl nachzugehen. Auf dieser Ebene hat der Vergebende mit dem Schuldigen gemein, dass sie beide nicht auf sich selbst bestehen. Der Vergebende unterbricht einen scheinbar folgerichtig ablaufenden Vorgang, lässt es nicht zu, sich allein von dem Fehler des anderen leiten zu lassen, behält seine Freiheit und seinen Selbstwert. Damit gehört zum Vergeben die gleiche Souveränität und menschliche Stärke wie zur Bitte um Vergebung.

Die Frage ist: Haben wir Menschen Vertrauen zu unseren Mitmenschen, kennen wir noch eine solche Güte des Seins, glauben wir noch an verzeihende Instanzen – in uns und um uns? Kennen wir noch Menschen, für die es gilt „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“? Ich ergänze: Verzeihende Barmherzigkeit nicht Unterwerfung, bekennende Barmherzigkeit sich selbstgegenüber nicht Verheimlichung, bekennende Barmherzigkeit anderen gegenüber nicht Vertuschung. Haben wir noch den Mut zu unseren dunklen Seiten zu stehen?

Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ (Mt 9,13). Diese Einladung an uns steht. Sie braucht Mut, sie schenkt Würde, sie schützt vor übertriebenem Perfektionismus, sie macht unser Leben lebenswerter und ehrlicher. Die ehrlich ausgesprochen und angenommene „Entschuldigung“ zeigt, ob wir glauben an ein gütiges Sein.