Toleranz

Der schlimmste Mensch ist der, der keine Entscheidung annimmt, keine Sünde deckt, und keinen Fehler vergibt. (arabisches Sprichwort)

Bloßes Ignorieren ist noch keine Toleranz (Theodor Fontane)

Toleranz ist gut aber nicht gegenüber Intoleranten. (Wilhelm Busch)

Toleranz ist ein Beweis des Misstrauens gegen ein eigenes Ideal. (Friedrich Nietzsche)

 

Toleranz ein in unserer Gesellschaft viel verwendetes Wort. Toleranz wird gepredigt, verteidigt, in Frage gestellt. Es gibt eine Unzahl von Preisen in Deutschland für Toleranz. Ja – tolerant Sein, das ist modern. Aber lohnt es sich da nicht, den Begriff einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen? Welcher der oben zitierten Sätze ist für sie am Stimmigsten? Ich möchte sie mitnehmen auf einen kleinen biblischen Ausflug zum Begriff der Toleranz.

Im Galaterbrief schreibt Paulus: „Tragt einer des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Der griechische Text gibt dieses „tragen“ mit „bastazo: aufheben, tragen, ertragen, aushalten, wegschaffen“ wieder. Genau dieses „bastazo“ wird dann im Lateinischen mit „tolerare“ übersetzt, und von diesem „tolerare“ stammt unser deutsches Wort Toleranz.

Der Galater Text beschreibt damit eine Idee von Toleranz, in der einer des andern Last trägt. Dieses Tragen ist nicht zu verstehen als eine Einbahnstraße. Eine oder Einer trägt, hält aus, nimmt auf sich, trägt und trägt bis sie oder er unter seiner Last zusammenbricht oder aufgrund der Be-lastung ausrastet. Die Idee im Hintergrund ist eine größere Freiheit zu erlangen, durch ein gegenseitiges Lastentragen.

Dieser Text geht zunächst davon aus, dass alle Menschen Belastungen in ihrem Leben haben, dass jeder und jede Unerträgliches mit sich herumschleppt, dass wir alle Existenzbedrohendes kennen in unserem Leben. Das meint der Begriff Last. Wenn ein Mensch durch diese Last überfordert wird, reagiert er hart, ungerecht, aufbrausend, schlägt um sich, ist nicht mehr er selbst. Meine naheliegende Reaktion ist, ihn abzuwerten, ihn nicht mehr ernst zu nehmen, ihn auszugrenzen. Ein Versuch könnte sein, genau in solchen Augenblicken nach Belastungen meines Gegenübers zu suchen. Es gibt Situationen da ist es gut, sich nicht binden zu lassen vom Verhalten meines Gegenübers, sondern versuchen zu erkennen welche Last diesen so nieder-drückt. Warum? Weil ich damit mein nicht Verstehen meinem Gegenüber nicht anlaste, sondern mich auf die Suche danach mache welche Last der je andere trägt, was die Gründe sind für sein Verhaltens. Toleranz hat damit eine starke Tendenz zum Mitfühlen mit der Person, zum Einfühlen in die Lebenslage. Seltsam aber wahr scheint mir in diesem Zusammenhang zu sein, dass es uns Menschen häufig passiert, unsere Be-lastungen selber gar nicht ins Wort fassen zu können, wir oft selber gar nicht wissen, was wir uns in unserem Leben schon so alles aufgeladen haben. Da kann es nur gut sein, wenn da jemand ist, der unsere Be-lastungen zuerst einmal aufhebt, sie somit ins Wort fasst, sie dann mit-trägt, sie vielleicht sogar weiter-trägt und es so eine gemeinsame, verbindende, sich gegenseitig ernstnehmende Geschichte wird. Manchmal wird in einem solchen Prozess dann auch die eine oder andere Be-lastung weg-ge-tragen.

Tolerantes Verhalten in diesem Sinne wird sich positiv auswirken. Geteilte Last kann hier oft wirklich zur halben Last werden. Situationen, die manchmal mit sehr viel Stress auf beiden Seiten verbunden waren, können wesentlich entspannter angegangen werden. Wir nähern uns dem andern aus einem anderen Blickwinkel. Dies ist eine etwas andere Art einem anderen näher zu kommen. Manchmal stellt sich so etwas wie ein Solidarisierungseffekt ein und daraus, zumindest im besten Falle, kann der/die andere auch mir etwas von meiner Last abnehmen.

Dieser Satz des Paulus: „Tragt einer des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz erfüllen.“ (Gal 6,2) ist so verstanden das Gebot der Nächstenliebe einfach anders formuliert. Mit dem Gebot der Nächstenliebe ist auch die Feindesliebe mit hineingenommen. Immer wieder höre ich, dass das Christentum Unmenschliches verlange. Da kann die Perspektive von Gal 6,2 manchmal eine praktikable Anleitung sein. Toleranz trägt Intolerante mit, versucht zu ergründen, welche Be-lastungen im Hintergrund sind. Frägt: Woher kommt diese Intoleranz? Es geht nicht darum, die Wahrhaftigkeit und die Ehrlichkeit zu opfern, sondern um das Ergründen, das Emporheben der Beweggründe meines Gegenübers, meines Freundes oder Freundin, meines Partners oder Partnerin, meines Kollegen oder meiner Kollegin und im besten Fall sogar für denjenigen, der mir nicht freundlich gesonnen ist.